Im Jahresthema „Wer die Wahl hat“ ging es um die Politikverdrossenheit der Deutschen und Jugendlichen. In verschiedenen Veranstaltungen, darunter auch eine Diskussion mit Landtagsabgeordneten, wollte man Lust auf Politik machen und motivieren. Lange vor der Entscheidung, dass Guildo Horn Deutschland beim Eurovision Song Contest in Birmingham vertreten sollte, wurde dieser für die 14. Auflage des Festivals gebucht. Welche Begeisterungsstürme der Schlagerbarde beim Publikum auslösen würde, war den Veranstaltern damals noch nicht bewusst. Im Frühjahr 1998 war Deutschland im Guildo-Horn-Fieber, Highlight zum Festival war, dass eine lokale Bäckerei 1000 Nussecken nach dem Originalrezept von Guildos Mutter Lotti backte und an das Publikum verteilte. Für Guildo Horn selbst wurde eine 80 Zentimeter große Mega-Nussecke kreiert, um ihm so Grüße aus der Stadt Eschwege zu überbringen. Zum Konzert selbst wurde das Zirkuszelt gestürmt und dem Meister im Anschluss ordentlich gehuldigt. Guildo kletterte zu seinen Songs über die Traversen und reichte den Fans in den ersten Reihen, sehr zu deren Freude, die Hände. „Wir haben im Vorfeld lange darüber diskutiert und gestritten, ob wir Guildo Horn machen wollen oder nicht, wir haben dann aber für uns entschieden, dass er eine Schlager-Persiflage macht, und deshalb haben wir uns dann schließlich dafür entschieden“, erinnert sich Alexander Feiertag. „Für uns war es ein erfolgreiches Jahr. Guildo Horn und die Orthopädischen Strümpfe haben dazu natürlich auch mit beigetragen.“
Der Abend zuvor stand ganz im Zeichen des Punks: Am Freitagabend gab es ein Heimspiel für The Bates, das Zelt brach aus allen Nähten. Die regionale Zeitung schrieb über den Auftritt, dass es nicht die beste der Bands gewesen sei, die Fans hatten allerdings ihren Spaß und feierten die Songs ihrer Lokalmatadoren um Zimbl & Co. Nach Alannah Myles auf der Freibühne, die vor allem durch ihren Hit „Black Velvet“ bekannt war, waren im Anschluss die Guano Apes aus Göttingen zu Gast, die deutsche Rock-Crossover-Band der Stunde. Sängerin Sandra Nasić holte einen Besucher auf die Bühne, der zuvor lautstark „Ausziehen“ forderte, und entkleidete ihn zur Freude des Publikums bis auf die Unterhose. Das erste Album der Guano Apes, „Proud like a God“, das noch heute den Fans glänzende Augen bereitet, erschien im Herbst 1997. Songs wie „Open your Eyes“ und „Lords of the Bords“ ließen die Fans ausrasten und sind inzwischen zu Klassikern geworden.
Der Auftakt in der Stadt schied in diesem Jahr die Geister. „Für die einen war es eine Mordsgaudi, der Auftritt einer genialen Straßentheatergruppe, für die anderen schlicht blanker Unsinn“ so beschrieb die Werra-Rundschau den Auftritt von Cacahuète. Als Trauergemeinde, die frisch verstorbene Mutter im Sarg im Gepäck und begleitet von den Angehörigen, zogen sie durch die Eschweger Innenstadt und sorgten dabei für viele außergewöhnliche und skurrile Momente. Die Trauergäste waren „nur mit feingerippten Liebestötern bekleidet“ und „wurden per Leiter aus dem ersten Stock des „McZ“ abgeholt“, heißt es weiter in dem Artikel. Ob nun der Rollstuhl des Vaters mit einer moderneren Variante eines Zuschauers getauscht werden sollte oder ob sie sich unterwegs an Blumenrabatten bedienten, um den Sarg zu schmücken, nicht immer kam das bei den betroffenen Personen und Zuschauern an, dennoch sorgten sie so für jede Menge Aufsehen. Im Kleinkunstzelt sorgten vor allem Martin „Maddin“ Schneider und Lilo Wanders für ausgelassene Stimmung. Viele Besucher verfolgten die beiden Auftritte und saßen so eng gequetscht im Zelt beieinander.
Am Samstagabend veranstaltete das Theater Titanick mit Künstlern aus Holland, Australien und Irland mit Feuer- und Wassereffekten, bildnerischen Ideen und Livemusik ein Spektakel erster Güte. Referenz nahmen sie dabei auf den Untergang der Titanic, die als größte Schifffahrtskatastrophe des technischen Zeitalters in die Geschichte einging und erst durch den im Jahr zuvor erschienenen Film wieder an Aktualität gewann. 30.000 Liter Wasser wurden benötigt, um die Titanic gegen Mitternacht auf dem Festival-Gelände untergehen zu lassen und so für „eine Freiluftinszenierung, fesselnder als jeder US-Thriller“ sorgte, wie das Programmheft schon im Vorfeld ankündigte. Rund 12.000 Besucher konnte das Open Flair 1998 mit seinem sehr breitgefächerten Line-up nach Eschwege locken. Der Etat für Gagen betrug in diesem Jahr 500.000 D-Mark und 500 Helfer sorgten vor und hinter den Bühnen sowie beim Auf- und Abbau, für einen reibungslosen Verlauf.
Von Sonja Berg