Endlich war es so weit: 1994 konnte das Open Flair seinen ersten runden Geburtstag feiern. Rund 200 Helfer und 25 Flairies hatten hart gearbeitet, um diesem schönen Anlass einen gebührenden Rahmen zu verleihen und das zehnte Flair zu etwas ganz Besonderem zu machen. Selbst in höchsten Kreisen hatte das Festival Anklang gefunden, so übernahm Hans Eichel, der damalige Ministerpräsident des Landes Hessen, die Schirmherrschaft über das Open Flair 1994. Nachdem eine Woche zuvor schon eine prominent besetzte Tagung unter dem Thema „Eigenständige Regionalentwicklung in Nordhessen“ stattgefunden hatte, wurde sich auch während des Festivals selbst unter der Überschrift „Bewegung aus der Region“ mit diesem Aspekt beschäftigt. Die Frage, ob nur äußere Einflüsse, wie die fehlende Autobahn, als Erklärung für die Strukturschwäche des Werra-Meißner-Kreises herhalten müssten oder ob eine Entwicklung von innen heraus initiiert werden könne, um der Region zu helfen, sollte an diesem Wochenende in mehreren Gesprächsrunden diskutiert werden. Zudem stand die Auseinandersetzung mit der Identifikation des Einzelnen und „seiner“ Region auf der Agenda. Das alles gab Anstoß zur Gründung des Vereins für Regionalentwicklung, der bis heute aktiv ist.
Wie auch in den letzten Jahren startete das Flair mit dem Eröffnungsspektakel in der Eschweger Innenstadt, deren Beschaulichkeit unter anderem durch Les Tambours du Bronx und ihrer besonderen Musikperformance, die den Einsatz von Ölfässern und Knüppeln beinhaltete, auf den Kopf gestellt wurde. Die Kleinen hatten wieder viel Spaß mit dem YaYa-Klangtheater, das die Kinder zu einem lustigen Mitmachorchester einlud. Schirmherr Eichel gab sich die Ehre und hielt auf dem Marktplatz die Eröffnungsrede. Hierfür wurde er von den Mitgliedern des Arbeitskreises mit einem T-Shirt bedacht, das er leider trotz der lautstarken Forderungen des Publikums nicht sofort überstreifen wollte. Das geheime Highlight jedoch war die Bürgermeisterkandidatur des Anarcho-Clowns Leo Bassi, der den Eschwegern als Wahlversprechen die Abschaffung jeglicher Steuern in Aussicht stellte.
Auf der Hauptbühne gab es am Freitagabend Fury in the Slaughterhouse zu bewundern. Die sechs Jungs um die Wingenfelder-Brüder Kai und Thorsten, die gerade mit ihrem jüngsten Longplayer „MONO“ den Durchbruch in den USA geschafft hatten, stellten ihre Bühnenqualitäten lautstark unter Beweis. Der Samstag hatte ebenfalls einiges zu bieten. Nachdem Leo Bassi das Werdchen unsicher gemacht hatte und das Frankfurter Kurorchester, auch gerade zehn Jahre alt geworden, mit seinem neuen Programm INCOGNITO eingerostete Hörgewohnheiten kuriert hatte, betrat um 20 Uhr ein damals noch aufstrebender Kabarettist die Bühne des Cafézelts: Dieter Nuhr präsentierte hier sein erstes Solo-Programm „Nuhr am Nörgeln“. Später wurde mit FISH ein musikalisches Großgewicht aufgefahren, denn hinter diesem Namen verbarg sich niemand Geringeres als Derek William Dick, der ehemalige Sänger der bekannten Rockband Marillion. Mit seinen „Songs from the Mirror“ verbreitete er gute Stimmung unter den Besuchern.Das Programm des letzten Festivaltages war mit vielen Aktionen für die jungen Besucher, sowie Musik und Diskussionen sehr abwechslungsreich. Der Höhepunkt waren aber vier Eschweger Jungs mit Heldenstatus, dem Musikliebhaber bekannt unter dem klingenden Namen „The Bates“. Zum ersten Mal spielten die Lokalmatadoren auf dem Open Flair, nachdem sie gerade erst sehr erfolgreich ihre „Bubblegum-Trash“-Tour beendet hatten. Schon eine Stunde vor Beginn ihres Gigs hatten sich Schlangen vor dem Hauptzelt gebildet. Als Zimbl & Co. endlich die Bühne betraten, um „Hello“ zu sagen, wurden die Wände des Zelts hochgeklappt, damit allen Besuchern der Genuss dieser krachenden Performance zuteilwerden konnte. Wieder hatten die Flairies und die ehrenamtlichen Helfer ein großartiges Festival auf das Werdchen gezaubert, was der DGB-Chor in seiner Jubiläumshymne in folgende Worte fasste: „Wenn das Open Flair nicht wär, wär das Leben völlig leer, wär der Frust riesengroß, da wär das ganze Jahr nüscht los“.
Von Christine Clever