„Weg vom dreitägigen Konzert mit einer Aneinanderreihung von Top-Acts hin zu mehr Kleinkunst und Theater“, so beschrieb die HNA im Februar 1987 das Vorhaben der Organisatoren für das Open-Flair-Festival 1987, nachdem im Vorjahr das Festival erstmals auf dem Werdchen stattfand und man sich mit HR3-Top-Time einen starken Medienpartner ins Boot geholt hatte, der aber auch einige Nachteile mit sich brachte. Durch die Aufzeichnungen standen alle unter Druck, Platz für Zugaben gab es nicht und „ein Stück typischer Festivalatmosphäre ist dadurch verloren gegangen“, so Festival-Organisator Alexander Feiertag. Deshalb sollte in diesem Jahr das Programm nicht mehr so dicht gedrängt sein. Der Arbeitskreis selbst hatte sich mittlerweile als Verein eintragen lassen, der sich weiterhin auf die Fahne geschrieben hatte, das bisher einseitige Kulturangebot in der Region zu erweitern. Auch in diesem Jahr sollte regionalen Bands und Jugendgruppen eine Bühne gegeben werden, denn „wer glaubt, man wolle bloß drei Tage Festival gut über die Bühne bringen und – ähnlich wie bei Rock am Ring – Millionen in die eigene Tasche wirtschaften, liegt falsch“.
Anlässlich des diesjährigen Festivalmottos „Fremdenverkehr – Wozu in die Ferne schweifen?“ wurde das Festivalgelände zum Urlaubsdorf rund ums Zirkuszelt umfunktioniert, in dem man Ausstellungen und Vorträge zu Lebenslage und Perspektiven im Werra-Meißner-Kreis anschauen konnte. Schon im Vorfeld gab es aufgrund eines Aufsatzes im Programmheft dazu hitzige Gespräche. Der Autor wollte eigentlich nur einen schlechten Griechenland-Reiseführer aufs Korn nehmen und münzte ihn auf Eschwege um. Er schrieb: „Gerade die unheimlich spannenden Rituale der Partnerwerbung sind seit Jahrhunderten festgelegt und lassen sich auf sogenannten Kirmessen sehr genau beobachten. Außerhalb dieser Ritualisierung zeigen die Geschlechter wenig Interesse aneinander, sodass man als Frau hier auch gut alleine reisen kann“ und „Die Straßen sind weitgehend asphaltiert und gut befahrbar“. Der Text verfehlte allerdings sein Ziel und sorgte für viel Unmut in der Bevölkerung. Auch der Eschweger Magistrat war empört, dass über die kommunale Strukturförderung und die Bemühungen zur Belebung des Tourismus so hart gerichtet wurde. Von einer „Vergeltung“ durch Kürzen der Zuschüsse wurde aber abgesehen, und bis zum Festival waren die Wogen wieder geglättet. Kabarettist Matthias Deutschmann machte in seinem Programm schon wieder Witze darüber.
Aufgrund von Lärmbeschwerden des vorangegangenen Jahres wurde die Bühne auf Beschluss vom Magistrat in den Baumkreis verschoben und die Lautsprecheranlage um die Hälfte reduziert. Durch die Bäume erhoffte man sich eine Geräuschdämpfung, außerdem wurde die Bühne so ausgerichtet, dass sie in Richtung Kleingärten beschallte. Das Festival begann nun in der Innenstadt, wo die Mitglieder des Scharlatan-Theaters durch die Straßen zogen – mit freundlicher Unterstützung der örtlichen Polizei, die deren Personalien aufnehmen wollte, als sie Wasser aus einem Hydranten entnahmen. Die Feuerrevue von Tout Feu Tout Flamme bildete am Freitag den Höhepunkt und selbst die Werra bekam ihren eigenen Auftritt: Mit Nebel, Licht, Tanz und Musik wurde sie am Samstagabend in das Programm miteinbezogen. Weitere Neuerung war das Kinderprogramm. Zauber- und Musikshows zum Mitmachen lockten nun auch die Kleinsten aufs Festivalgelände. Doch auch die Großen kamen auf ihre Kosten. Mit Hob Goblin, Trio Farferello, Inga Rumpf, The Bates und zum Abschluss am Sonntagabend Flatsch wurden die Besucher zum Tanzen animiert.
25 D-Mark kostete die Dauerkarte. Kein Wunder, dass die Veranstalter sich da Sorgen machen mussten – wurden doch nur rund 40 Prozent der Kosten durch Zuschüsse der öffentlichen Hand und Zutun der beteiligten Jugendverbände gedeckt. Der Rest lief über die persönliche Haftung der Organisatoren. Alexander Feiertag sagte in einem Interview: „Über den Vorverkauf informiere ich mich grundsätzlich nicht. Das erhöht den Stressfaktor.“ Durch den regen Ticketverkauf an der Abendkasse und die Einnahmen aus Getränke- und Speisenverkauf konnten die Kosten von insgesamt 92.000 Mark aber schließlich gedeckt werden.
Von Laura Müller und Vanessa Rheinländer