Wer damals im September 1985 auf der Burg Ludwigstein beim ersten Open-Flair-Festival dabei war, konnte wohl kaum ahnen, wo die Reise mit dieser Veranstaltung mal hingehen wird. Weder die Besucher noch die Organisatoren, ein Zusammenschluss des Jugendzentrums Schlossmühle in Eschwege mit vielen anderen Jugendinstitutionen des Werra-Meißner-Kreises, haben sich bei der Erstauflage des Festivals gedacht, dass sie etwas geschaffen haben, das auch Jahrzehnte später noch viele Tausend Menschen begeistern wird. „Wir wollten die Welt retten“, so beschreibt Alexander Feiertag, Mitinitiator der ersten Stunde und heute noch Festivalchef, die damalige Motivation. Anpolitisiert sollte etwas bewirkt werden, auf Themen aufmerksam gemacht und zum Nachdenken angeregt werden. Weiterhin sollte das Festival der Höhepunkt der Jugendarbeit im Landkreis sein und so ein jugendkulturelles Forum ergeben, bei dem sich die verschiedenen Jugendgruppen untereinander austauschen und ihre Arbeit, wie Videoprojekte, Theaterstücke oder die sogenannte Spurensicherung, der Bevölkerung vorstellen.
Erfahrungen in der Organisation hatten sie bereits bei kleineren Veranstaltungen und Konzerten, wie dem Konzert auf dem Parkdeck des Eschweger Innenstadt-Kaufhauses Woolwort am Johannisfest-Freitag in Eschwege gemacht. Nun sollte es eine Nummer größer werden. Seit November 1984 kamen die Planungen in Gang. Hierbei wurden die Aufgaben auf die verschiedenen Institutionen aufgeteilt, sodass jede Jugendgruppe eine Aufgabe hauptamtlich übernahm. Die Organisatoren wollten das Festival auf drei Säulen aufbauen: Neben der Präsentation der Jugendarbeit sollten es Konzerte und Kleinkunst sein. Bei den Künstlern achtete man darauf, eine gute Mischung aus gestandenen Namen am Rock- und Pop-Himmel, wie Embryo oder den amerikanischen Bluesmusiker Louisiana Red, mit Nachwuchsbands aus der Region, wie Nuclear Graffiti aus Eschwege, der Vorläufer-Formation der Bates, die das Festival eröffnete, und Liedermachern abzuwechseln. Zum inhaltlichen Schwerpunkt wurde für das Festival der Region das Motto „Die Provinz schlägt zurück“ auserkoren. Am 6. September 1985 fiel der Startschuss, und für die rund 200 ehrenamtlichen Helfer begann die Hauptarbeit. Um die Burg herum wurden fünf Bühnen aufgebaut, es wurden Workshops in vielen verschiedenen Bereichen wie Fotografie, Video, Schminken und Komik angeboten und selbst an die Kleinsten wurde gedacht und ein Kinderhort eingerichtet. Einen Strich durch die Rechnung der Organisatoren machte aber das Wetter. Kühle Temperaturen, nachts stellenweise nur fünf Grad und Dauerregen sorgten dafür, dass die Bühnen draußen leer blieben und die Auftritte in das Innere der Burg verlegt wurden. Man überlegte, das Open Flair einer Namensänderung zu unterziehen und es in Sibiria umzutaufen, da dies der durchaus treffendere Name 1985 gewesen wäre. Natürlich litten darunter auch die Auftritte der Künstler, denn in der Burg herrschte bei manchen Auftritten massive Enge, sodass der Einlass schließen musste. Dem Wetter trotzten aber dennoch einige Hartgesottene, die rund 50 Zelte um die Burg aufgebaut hatten. Gut, dass sie sich mit dem angebotenen Glühwein aufwärmen konnten.
Insgesamt kamen über die drei Tage verteilt rund 2.100 Besucher zum Open Flair, weniger als erhofft, sodass die Gesamtkosten von 40.000 Mark durch Zuschüsse unterstützt werden mussten. Man kam gerade so mit dem Geld hin. Viel Ärger gab es um die Miete der Burg Ludwigstein. Allein 6.000 Mark mussten hierfür aufgebracht werden, der normale Satz, den jeder Mieter zahlen musste. Ein geringerer Satz, um so auch die Jugendarbeit zu unterstützen, wäre von den Organisatoren sehr begrüßt worden. Trotz aller Hindernisse fand das Open Flair viel Anklang, vor allem wegen der Programmvielfalt, und der WM-Tip schrieb am 12. September 1985: „Und es sei Ihnen gesagt: Wenn es nach den Initiatoren geht, gibt es ein weiteres Open Flair - nächstes Jahr vielleicht - hoffentlich". Recht sollte er behalten.
Von Vanessa Rheinländer